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„Ganz wichtig: Keine Panik!“

19. Dezember 2017Michelle

Prof. Dr. med. Inka Wiegratz ist ärztliche Leiterin der MVZ VivaNeo Kinderwunschpraxis in Frankfurt. Als Reproduktionsmedizinerin betreut sie auch Frauen, die ihren Kinderwunsch trotz vorzeitiger Wechseljahre realisieren möchten.

Frau Wiegratz, Wechseljahre werden meist mit dem Ende der Fruchtbarkeit gleichgesetzt. Bei Frauen in den vorzeitigen Wechseljahren kommt es jedoch auch nach Diagnosestellung noch zu Schwangerschaften. Woran liegt das?

Die Eierstockfunktion erlischt bei den meisten Frauen nicht sofort vollständig. Das heißt, die Periode setzt nicht von jetzt auf gleich aus, sondern es handelt sich meistens um einen schleichenden Prozess, der bei den Frauen mit vorzeitigen Wechseljahren einfach viel zu früh beginnt. Die Frauen haben dann nicht mehr 13 Eisprünge im Jahr, wie es normal wäre, sondern deutlich weniger, möglicherweise 2-4. In dieser Übergangsphase gibt es also immer noch Eisprünge, die zwar unregelmäßig stattfinden, aber eine Fertilität ist durchaus noch gegeben.

Wie geht man bei einem Kinderwunsch vor, wenn noch Eizellen vorhanden sind?

In dieser Phase, wo noch einige Antralfollikel, also Eibläschen vorhanden sind, kann man durchaus versuchen, diese zu stimulieren und zum Eisprung zu bewegen. Natürlich müssen die Patientinnen in dieser Zeit gezielt Verkehr haben, damit eine Schwangerschaft zustande kommen kann. In dieser Phase sind also noch spontane Schwangerschaften möglich.

Also bedeuten wenige Eizellen nicht gleich das Aus des Kinderwunschs?

Viele Frauen sind vielleicht schon mal mit dem AMH-Wert konfrontiert worden. Das ist der Wert, der die Eizellenreserve anzeigt. Bei Frauen mit vorzeitigen Wechseljahren ist er natürlich extrem niedrig, oder sogar unterhalb der Nachweisgrenze. Das wirkt für viele alarmierend. Doch auch Frauen, die ganz niedrige AMH-Werte haben, können durchaus schwanger werden. Dafür gibt es viele Beispiele.

Wie werden die Eizellen stimuliert, um sie zum Eisprung zu bewegen?

Normalerweise werden Frauen, die vorzeitig in die Wechseljahre kommen, mithilfe einer Hormonersatztherapie behandelt. Diese Therapie kann auch hinsichtlich der Fertilität günstig sein, denn sie entlastet die Eierstöcke, wodurch wieder Eisprünge stattfinden können.

Wie läuft das ab?

Man gibt der Patientin zyklisch – also nacheinander – Östrogen und Gestagen. Die ersten 14 Tage gibt man Östrogen und die zweiten 14 Tage Östrogen plus Gestagen. Das macht man für etwa zwei bis drei Monate, dann hört man auf und überprüft, ob in der Folgezeit vielleicht noch ein paar Follikel heranreifen, die es bis zum Eisprung schaffen. Das kann bereits während der Hormonersatztherapie passieren, aber auch danach. Zusätzlich kann man die Eizellreifung gezielt mit Tabletten oder Injektionen unterstützen, wenn ein Antralfollikel im Ultraschall sichtbar wird.

Wie hoch sind die Chancen, dass das funktioniert?

Das kann man nicht genau beziffern. Es kommt immer darauf an, in welchem Alter die Patientin ist. Sehr günstig ist aber im Allgemeinen, dass die Eizellen bei eher jüngeren Frauen ebenfalls jung sind und somit eine relativ hohe Chance für eine Befruchtung besteht. Eine Frau, die erst mit Anfang 40 zu uns kommt, hat im Einzelfall zwar möglicherweise noch viele Eizellen, diese sind aber schon gealtert, sodass die Schwangerschaftsrate trotzdem eher gering ist .

Welche Möglichkeiten haben Frauen in Deutschland, bei denen die Eierstöcke ihre Arbeit vollkommen eingestellt haben und auch nach Stimulation kein Eisprung mehr zustande kommt?

Die Optionen, die fast immer bestehen, sind natürlich Adoption oder Pflegschaft. Dabei trägt man das Kind natürlich nicht selbst aus, wie man es beispielsweise mithilfe einer Eizellspende tun könnte. Diese ist allerdings in Deutschland verboten. Was hingegen bereits hierzulande gemacht wird, sind Embryonenspenden.

Embryonenspenden? Was kann man sich darunter vorstellen?

Ja, es gibt den Verein „Netzwerk Embryonenspende“, der 2013 in München gegründet wurde und dem mehrere Kinderwunschzentren angeschlossen sind. Paare, deren Embryonen nach einer abgeschlossenen Kinderwunschbehandlung und bei abgeschlossener Familienplanung immer noch kryokonserviert sind, können diese zum Zweck der Spende an ein anderes Kinderwunschpaar freigeben. Gleiches gilt für befruchtete Eizellen. Wenn ein Paar seine befruchteten, eingefroren gelagerten Eizellen nicht verwerfen lassen will, so kann es nach ausführlicher Beratung dem Auftauen der Zellen und der Spende des hieraus entstehenden Embryos zustimmen.

Neben den Frauen, welche die Diagnose „Vorzeitige Wechseljahre“ bereits gestellt bekommen haben, gibt es auch Risikopatientinnen. Beispielsweise junge Frauen, deren Mutter und Großmutter ebenfalls früh in die Wechseljahre gekommen sind. Welche Möglichkeiten gibt es für diese Frauen?

Wenn klar ist, dass in der Familie fast alle Frauen vorzeitig in die Wechseljahre gekommen sind, dann ist natürlich die erste Überlegung, die eigene Familienplanung frühzeitig in Angriff zu nehmen. Ist das wegen der individuellen Lebensplanung oder aufgrund des fehlenden Partners nicht möglich oder gewünscht, gibt es die Möglichkeit, Eizellen in jungem Alter einfrieren zu lassen.

Social Freezing?

Genau. Wobei es in diesem Fall aus meiner Sicht kein Social Freezing mehr wäre, sondern das sogenannte Medical Freezing, was man auch bei Frauen macht, die sich einer Krebstherapie unterziehen müssen. Man entnimmt also Eizellen, weil man weiß, dass es aus medizinischer Sicht mit Anfang 30 oder nach einer Krebstherapie schon zu spät für die Erfüllung des Kinderwunsches mit eigenen Eizellen sein könnte. Mit dem Verfahen der Kryokonservierung von Eizellen besteht die Option, später mit den eigenen Eizellen schwanger zu werden. Eine Garantie für den späteren Erfolg gibt es aber nicht.

Muss man die Kosten selbst tragen? Es geht hier immerhin um Kosten zwischen 2.000 und 5.000 Euro.

Leider wird all das in Deutschland nicht von den Krankenkassen übernommen. Selbst onkologische Patientinnen, die sich einer Chemotherapie unterziehen müssen, bekommen das Einfrieren nicht bezahlt. Die sehr hohen Kosten sind zum einen durch die Stimulationsmedikamente bedingt, zum anderen durch die medizinische Betreuung. Das Lagern kostet ebenfalls jährlich Geld.

Können Sie uns eine Zukunftsaussicht geben? Wird es in einigen Jahren noch bessere Möglichkeiten geben, seinen Kinderwunsch trotz vorzeitiger Wechseljahre zu realisieren?

Zum einen sollte vielleicht einmal diskutiert werden, warum Eizellspende in Deutschland nicht erlaubt ist, während Samenspende bereits praktiziert wird.

Die wohl interessanteste und spannendste Zukunftsvision für Frauen in den vorzeitigen Wechseljahren ist aber ein Verfahren, dass vor Kurzem von einem japanischen Kollegen veröffentlicht würde, die sogenannte In Vitro Aktivierung.

Was ist das für ein Verfahren?

Das Verfahren richtet sich genau an die Frauen, die definitiv keine Eisprünge mehr haben. Der Erfinder des Verfahrens, Prof. Kawamura, hat diesen Frauen Eierstockgewebe entnommen und festgestellt, dass darin immer noch ein paar kleine schlummernde Follikel sind, die nicht mehr spontan heranreifen. Er hat dann das entnommene Eierstockgewebe in kleinen Stückchen mit verschiedenen Substanzen inkubiert, aktiviert und retransplantiert. Einige Zeit nach der Transplantation zeigte sich dann tatsächlich wieder eine Follikelreifung und Eisprünge.. Nach entsprechender Stimulatiuon hat Prof. Kawamura Eizellen entnommen, künstlich befruchtet und die Embryonen in die Gebärmutter eingesetzt. Nach diesem Verfahren sind bereits drei Kinder geboren und es gibt drei fortlaufende Schwangerschaften.

Könnte das in Zukunft auch in Deutschland angewendet werden?

Das Verfahren ist brandneu und aus meiner Sicht noch experimentell zu beurteilen, da es sich erst bewähren muss. Dennoch kann es natürlich ein Hoffnungsschimmer und eine Zukunftsaussicht für alle Frauen sein, bei denen sich die Eierstöcke nicht mehr stimulieren lassen.

Was raten Sie Frauen mit Kinderwunsch, die die Diagnose vorzeitige Wechseljahre erhalten haben?

Ganz wichtig: Keine Panik. Es gibt meistens noch ein paar Eizellen, mit denen man arbeiten kann, auch wenn die Hormonwerte zunächst sehr ungünstig sind. Gehen Sie die Sache zügig an, begeben Sie sich in die Hände von Spezialisten, bewahren Sie Ruhe und werfen Sie die Flinte nicht ins Korn. Selbst Frauen mit wenig Eizellen haben, insbesondere wenn Sie jung sind,  noch eine Chance, ihren Kinderwunsch zu verwirklichen. Also nicht aufgeben!

Comments (1)

  • Zwischen den Stühlen: Mit oder ohne Hormone? – poisie

    31. Dezember 2017 at 13:15

    […] Monika am Telefon. Für sie ist es weder ein großes Problem, dass sie mit Anfang 30 wahrscheinlich keine weiteren Kinder mehr bekommen kann, noch hat sie das Gefühl, keine Frau mehr zu sein. Was sie hingegen am meisten zum nachdenken […]

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