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“Weltweit wird viel geforscht weil man den jungen Frauen gerne helfen möchte.”

29. November 2017Michelle

Frau Dr. med. Julia Rehnitz ist Fachärztin in der Abteilung Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen am Universitätsklinkum Heidelberg. Sie ist aktiv in der Klinik und Forschung tätig und stellt sich täglich den wichtigsten Fragen rund um die vorzeitigen Wechseljahre.

Frau Rehnitz, wie werden vorzeitige Wechseljahre definiert?

Die European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE) hat sich geeinigt, das klinische Bild der vorzeitigen Wechseljahre unter Premature Ovarian Insufficiency (POI) zusammenzufassen. Diese ist klassischerweise durch ein vorzeitiges Auftreten von Wechseljahresbeschwerden vor dem 40. Lebensjahr gekennzeichnet. Das heißt, der Eierstock stellt vorübergehend oder permanent die Funktion der Eizellreifung ein, sodass keine reifen Eizellen mehr heranwachsen und die Frau aufgrund der fehlenden Hormonproduktion aus dem Eierstock Wechseljahresbeschwerden bekommt.

Wie viele Frauen sind davon betroffen?

Ein Prozent der unter 40-Jährigen. Je jünger die Frauen sind, desto niedriger ist auch der Prozentsatz. Es gibt natürlich auch Frauen zwischen 40 und 50 Jahren, die verfrüht in die Wechseljahre kommen, was bei einem durchschnittlichen Menopausenalter von 50 -52 Jahren immer noch sehr jung ist. Diese gelten aber per Definition nicht mehr zum eng gefassten Begriff POI. Dennoch ist naheliegend, dass bei einer Frau, die mit 39,9 Jahren an POI erkrankt, wahrscheinlich ein gleichgelagertes Krankheitsbild vorliegt wie bei einer Frau, die im Alter von 40,1 Jahren von Wechseljahresbeschwerden betroffen ist.

Dr. Julia Rehnitz betreut selbst Patientinnen in den vorzeitigen Wechseljahren

Die Symptome sind wahrscheinlich die gleichen. Welche sind das?

Das erste sichtbare Anzeichen ist eine unregelmäßige Blutung, die letzten Endes ganz ausbleibt (Amenorrhoe). Die Frauen haben aber auch klassische Wechseljahrsbeschwerden. Dazu zählen vor allem Hitzewallungen, Libidoverlust, Scheidentrockenheit und Stimmungsschwankungen. Aber auch Herz-Kreislauf-Beschwerden, vasomotorische Beschwerden, wie Hitzewallungen und Nachtschweiß, Kopfschmerzen, depressive Verstimmungen und Haarausfall können auftreten. Diese Beschwerden sind durch den Östrogenmangel bedingt. In der Folge kann durch diesen langen Östrogenmangel auch ein Knochendichteverlust bis hin zur Osteoporose [1] entstehen.

 

 

 

Was sollten Frauen tun, die diese Beschwerden haben?

Wenn der Verdacht besteht, sollte zunächst ein Frauenarzt/eine Frauenärztin aufgesucht werden, der/die neben einer Anamneseerhebung und klinisch-gynäkologischen Untersuchung zunächst einen Hormonstatus bestimmt. Dabei sollten das Gonodotropin FSH und das Östradiol [2] bestimmt werden. Um einen aussagekräftigen Hormonstatus bestimmen zu können, muss man diesen Status zwei Mal im Abstand von vier Monaten erheben. Das geschieht durch eine Blutabnahme. Die Antibabypille sollte hierfür bestenfalls ein bis zwei Monate lang abgesetzt werden, weil in der ersten Blutungspause direkt im Anschluss an die Pille die Gonodotropine noch nicht aussagekräftig sind. Mit dem Hormonstatus ist aber noch nicht die Ursache geklärt.

Welche Ursachen sind bisher erforscht?

Der häufigste Grund für vorzeitige Wechseljahre sind Krebserkrankungen bzw. die Folge ihrer Therapie. Das kann eine Chemotherapie, eine Strahlentherapie, oder ein operativer Eingriff am Eierstock mit dessen Entfernung oder aber Teildestruktion sein. Wir kennen aber auch genetische Gründe, wie das BPES Typ 1 [3], das sich durch ein auffälliges Erscheinungsbild im Bereich der Augen erkennen lässt, oder eine Prämutation im FMR1-Gen, das wir vom Fragile-X-Syndrom [4] kennen, wobei an fragilem X Syndrom erkrankte nicht von POI betroffen sind, sondern nur Frauen mit einer Prämutation in bis zu 20% der Fälle.

Häufig ist POI aber auch mit Autoimmunerkrankungen (z.B. der Schilddrüse oder Nebennierenrinde u.a.) [5] assoziiert. Neben potenziellen Kandidatengenen [6] als Auslöser sind uns auch Veränderungen der X-Chromosome [7] als Risikofaktoren für das Auftreten von POI bekannt. Bei einem Großteil der Patientinnen kann aber auch keiner dieser Auslöser festgestellt werden, sie werden als idiopathische POI Erkrankungen definiert.

Wie werden all diese Ursachen untersucht? Was sollte nach der Erstellung des Hormonstatus noch getestet werden?

Im Hinblick auf Autoimmunerkrankungen, sollte ein basaler Schilddrüsenwert bestimmt und beim Vorliegen einer Autoimmunerkrankung ein Morbus Addison [8] über einen internistischen Endokrinologen ausgeschlossen werden. Man sollte außerdem immer anbieten, ein Karyogramm [9] erstellen zu lassen und auf eine FMR1-Prämutation hin zu testen. BPES Typ 1 ist eine Blickdiagnose, auf die eine genetische Testung im Anschluss erfolgen kann. Die genetischen Testungen sind immer freiwillig und erfolgen nach ausführlicher genetischer Beratung, da jeder nach dem Gendiagnostikgesetz auch ein Recht auf Nichtwissen hat.

Gerade wenn kein Auslöser festgestellt werden kann, kommt natürlich die Frage auf, ob auch äußere Einflüsse eine Rolle spielen. Rauchen, Ernährung und der frühe Eintritt der ersten Blutung werden immer wieder als mögliche Auslöser diskutiert. Was davon trifft zu?

Wir wissen, dass Frauen, die rauchen, früher in die Menopause kommen können, weil das Rauchen die Eierstöcke schädigen kann. Das Eintrittsalter der Menopause liegt bei Raucherinnen im Schnitt etwas früher, es ist aber meist nicht vor dem 40. Lebensjahr. Dennoch stellt Rauchen somit einen Risikofaktor dar. Die anderen Punkte sind mir nicht als Risikofaktor bekannt.

Wenn die Ursache dann bekannt ist: Wie hoch sind die Möglichkeiten, trotz Diagnose noch schwanger zu werden?

Ob bekannte oder unbekannte Ursache ist für die Schwangerschaftrate meist wenig relevant. Allerdings stellen gerade genetische Ursachen wie die FMR1-Prämutation einen Risikofaktor für die Folgegeneration (Fragiles X Syndrom möglich) dar. Generell sagt man, dass ein POI in bis zu fünf Prozent reversibel ist. Das heißt, nach der Diagnosestellung werden bis zu fünf Prozent spontane Schwangerschaften berichtet. Besteht kein Kinderwunsch, sollte dementsprechend weiterhin verhütet werden.

Wie werden die vorzeitigen Wechseljahre behandelt?

Die Behandlung erfolgt generell in Form einer Hormontherapie (HT), die, wenn kein Kinderwunsch oder aber auch ein Verhütungsbedarf besteht, in Form von der Antibabypille erfolgen kann. Besteht ein Kinderwunsch, dann kann man die HT so gestalten, dass ein eventuell natürlich vorkommender Eisprung nicht verhindert wird. Wir empfehlen außerdem die Einnahme von Kalzium über die Ernährung und Vitamin D3, vor allem in der dunklen Jahreszeit. Zudem sollte man eine psychologische Begleitung anbieten. Nicht jeder steckt die Diagnose einfach so weg.

Die Hormonersatztherapie steht immer wieder in Kritik. Wie sind die Risiken der HT für Frauen mit vorzeitigen Wechseljahren einzuschätzen?

Wir wissen, dass Hormontherapien im natürlichen Wechseljahresalter die Rate an Brustkrebserkrankungen leicht erhöhen und auch thrombembolische Ereignisse leicht gehäuft auftreten können. Wir können aber keine Aussage treffen, dass das auch für Frauen mit POI der Fall ist. Zum einen, weil sie jünger sind als das durchschnittliche Erkrankungsalter für Brustkrebs und diese Frauen auch ansonsten ein niedrigeres Risikoprofil mit weniger Vorerkrankungen aufweisen und zum anderen, weil sie in einem Alter Hormone bekommen, in dem sie natürlicherweise auch diese Hormone im Körper hätten. Deshalb geht man davon aus, dass die Risikoerhöhung bei diesen Patientinnen eher weniger gegeben ist. In der Regel empfehlen die nationalen und internationalen Leitlinien die Hormontherapie, weil man davon ausgeht, dass die Nutzen die Risiken überwiegen.

Werden Frauen also anders behandelt, die beispielsweise ein erhöhtes Brustkrebsrisiko durch familiäre Häufung aufweisen?

Es gibt Frauen, die eine Kontraindikation für Hormonersatztherapien haben, zum Beispiel durch familiär genetisch bedingten Brustkrebs und bestimmte Blutgerinnungsstörungen. Bei diesen Frauen gibt es Alternativen. Das sind dann meist Einzelfallentscheidungen, bei denen auch Antidepressiva wirken können. Man kann beispielsweise selektive Serotonin Reuptake Inhibitoren [10] verordnen, die in vielen Fällen gegen vasomotorische Beschwerden helfen können.

Gibt es auch pflanzliche Alternativen?

Die gibt es sicherlich. Man muss aber einschränkend dazu sagen, dass es keine starke wissenschaftliche Evidenz dafür gibt, dass sie Placebo-kontrolliert einen besseren Nutzen als das Placebo erbringen. Reine Beobachtungsstudien berichten aber dennoch über Beschwerdebesserung von Wechseljahresbeschwerden. Gerade im Hinblick auf die Knochendichte sind diese Alternativen aber unzureichend und es sollte unbedingt auf eine ausreichende Kalziumzufuhr und Überwachung der Knochendichte geachtet werden.

Viele Ergebnisse rund um Diagnostik und Behandlung sind also noch nicht vollständig erforscht. Womit beschäftigen Sie sich zurzeit?

Hier im Haus machen wir vor allem Studien und Experimente bezüglich verschiedener Kandidatengene von POI. Hierbei befassen wir uns im Speziellen mit dem FMR1-Gen und seinem Einfluss auf die Eizellreifung und die Entstehung von POI. Es handelt sich hierbei um Grundlagenforschung. Das heißt, wir erforschen die Ursachen und mögliche Ansatzpunkte für Prognose und Therapie. Weltweit wird viel zu diesem Thema geforscht, vor allem, weil man den jungen Frauen gerne helfen möchte. Die aktuellen therapeutischen Ansätze sind aber allesamt noch rein experimenteller Art.

In der Frauenklinik des Universitätsklinikums Heidelberg werden nicht nur Frauen in den vorzeitigen Wechseljahren behandelt, sondern es wird auch aktiv geforscht.

 

Weitere Infos zum Thema findet ihr hier:

  • Das Netzwerk FertiProtekt informiert Frauen zum Fertilitätserhalt vor Krebstherapien. Mehr dazu erfahrt ihr hier.
  • Eine Patienteninfo der ESHRE zum Thema POI könnt ihr hier als PDF-Datei herunterladen.

 

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